Artikel: Jubiläum: 2o Jahre Versuchsstrecke Haste
Auf der Strecke Nr. 1700 (Hannover – Hamm) zwischen Wunstorf und Haste (bei Hannover) liegt ein Streckenabschnitt mit ungewöhnlichem Aussehen. Es gibt dort Weichen ohne Zweiggleis, was sich für Außenstehende nicht sofort erschließt. Dies hat aber durchaus seinen Sinn!
Zwischen Wunstorf und Haste befindet sich seit dem 27.11.2004 die Versuchsstrecke Haste, zunächst mit 10 und später mit 19 Versuchsplätzen. 2023 fand eine Streckenerneuerung statt, so dass aktuell 14 Plätze zur Verfügung stehen (Abb. 1).
Die Versuchsstrecke Haste feierte somit am 27. November 2024 ihr 20-jähriges Bestehen und dient seit ihrer Inbetriebnahme als Erprobungsort für Weiterentwicklungen von Fahrwegkomponenten, insbesondere in der Weiche.
Eine Versuchstrecke mit täglich 110.000 Tonnen Gleisbelastung
Grundlage für die Installation der Versuchsstrecke war das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der damaligen DB Netz AG geförderte Projekt „Instandhaltungsarme Weiche (IAW)“. Im Rahmen dieses Projekts mit einer Laufzeit von 2003 bis 2005 konnte die Versuchsstrecke in enger Abstimmung mit dem Eisenbahn-Bundesamt durch die DB Netz AG in der Region Nord, Netzbezirk Hannover, errichtet werden (Abb. 2).
Die Strecke ermöglicht Tests unter einer täglichen Gleisbelastung von 110.000 Lasttonnen (Lt) im Mischverkehr bis 160 km/h. Auch Langzeiterprobungen bis 500 Mio. Lt wurden bereit s durchgeführt.
Dr. Andreas Zoll von der DB Systemtechnik, damaliger Projektleiter IAW und maßgeblicher Initiator der Versuchsstrecke Haste, hatte von Anfang an deren Betreuung inne und führt diese mit viel Herzblut und großem Engagement bis heute fort. In enger Abstimmung mit der Bauartverantwortung Weichentechnik in der Zentrale der DB InfraGO übernehmen die Kolleginnen und Kollegen der DB Systemtechnik die Koordinierung der Versuchsplätze, die Messungen und die Bewertungen der Ergebnisse.
Herausfordernde Versuche
Keine leichte Aufgabe, bei Wind und Wetter, zunehmender Komplexität des zugrundeliegenden Regelwerks und vielen Playern, die Versuche immer unter einen Hut zu bekommen.
Die separierte Lage der Strecke und damit entfallende Lärmbelästigungen für Anwohner sowie die hervorragende Zugänglichkeit für Messungen, Instandhaltungen und Wechsel der Versuchsträger machen „Haste“ aber zu einem optimalen Testumfeld. Einzig einen Kiosk oder eine Bäckerei vor Ort wünschte sich Tom Renner, der jüngste Neuzugang der DB Systemtechnik im „Team Haste“.
Einzigartig für Erprobung von Werkstoffen, Schweißtechnologien und Konstruktionen
Die Versuchsstrecke gilt unter Fachleuten und Branchenkennern jedenfalls als einzigartig in ihrer Konstellation für die Erprobung von neuen Werkstoffen, Schweißtechnologien und Konstruktionen – sowohl in Deutschland als auch weltweit. Zuvor fanden die kostenintensiven Tests deutschlandweit unter nicht immer reproduzierbaren Bedingungen statt.
Seit der Errichtung der Versuchsstrecke können nun zusätzlich Tests unter vergleichbaren Bedingungen auf einer Regelstrecke durchgeführt werden. Die turnusmäßigen Quartalsmessungen werden mit den Anlagenverantwortlichen vor Ort abgestimmt. Ein zusätzlicher Vorteil: die hohe Anzahl der Versuchsplätze ermöglicht auch parallele Versuche.
Und was wird gemessen?
In erster Linie der Profilverschleiß in Längs- und Querrichtung, der sich durch die darüberfahrenden Züge (Radüberlauf) im Herzstück zwangsläufig einstellt (Abb. 3). Aber auch das Auftreten von Rissen oder gar Materialausbrüchen kann genauestens erfasst werden. Ergänzend können auch Bewegungen der Schwellen erfasst werden, die wiederum Rückschlüsse auf Schädigungen im gesamten Oberbau erlauben.
Herzstück im besonderen Fokus
Das Herzstück der Weiche ist der Kostentreiber Nummer 1 in der Fahrweginstandhaltung. Ein besonderes Augenmerk lag deshalb immer wieder auf der Erprobung verschleißresistenter Materialien und robuster Konstruktionen für Herzstücke. Mit dem Ziel, nicht nur die Instandhaltungskosten zu reduzieren, sondern auch die Lebensdauer zu erhöhen. Stichwort: Verfügbarkeit des Fahrweges!
Eine der prägendsten Entwicklungen war die Herzstückspitze aus dem sog. Chrom-Bainit CrB1400, einem höherfesten chromhaltigen Stahl. Dieser wurde ab 2004 erprobt und erlaubt gegenüber den üblicherweise kopfgehärteten Schienen aus R350HT eine Lebensdauerverlängerung von mehr als 100%. Mit einer eigens für dieses Material entwickelten Schweißelektrode ist auch die Aufarbeitung ohne Reduzierung der Lebensdauer der bainitischen Herzstücke möglich - ein Novum in der schweißtechnischen Aufarbeitung von Herzstücken.
Auch die Betriebserprobungen von neuen Herzstückkonstruktionen starten bis heute zunächst in Haste. Erst nach einer gewissen störungsfreien Betriebseinsatzzeit werden weitere Erprobungsträger deutschlandweit ausgerollt. Somit ist durch die enge Begleitung auf der Versuchsstrecke ein frühzeitiges Erkennen und schnelles Eingreifen sichergestellt.
Kay Schatkowski, DB InfraGo, Leiter Bauartverantwortung Weichentechnik: "Durch die Versuchsstrecke waren und sind wir auch zukünftig in der Lage, neue Bauteile, Messgeräte oder Technologien vor einer Zulassung auf Herz und Nieren zu prüfen und ein größtmögliches Maß an Sicherheit vor der Einführung in das Regelgeschäft zu erreichen."
Präventive und prädiktive Instandhaltung
Das Ziel einer vorausschauenden Instandhaltung ist ein rechtzeitiges Eingreifen, bevor sich gravierende Fehler ausbilden können. In diesem Zusammenhang werden auf der Versuchsstrecke Haste bis heute verschiedenste Monitoring-Ansätze, Mess- und Instandsetzungsmethoden erprobt und eingesetzt. Ein daraus entstandenes Ergebnis ist beispielsweise die aktualisierte Schweißtechnische Inspektion und Instandsetzung von Herzstücken.
Auch die Verifizierung von fahrzeuggebundenen Messystemen zur Bestimmung der Gleislage und Geometrie im Bereich des Herzstücküberlaufs wie zum Beispiel Automatische Weicheninspektion (AWI) und Continuous Track Monitoring (CTM) wurden auf der Versuchsstrecke vorangetrieben.
Weiteres Highlight ist das Zustandsmonitoring mit der Diagnosetechnik ESAH-M: Für die vergleichende Bewertung der Performance von verschiedenen Versuchsträgern im Projekt IAW bestand die Notwendigkeit, die beim Radüberlauf im starren Herzstück entstehenden dynamischen Kräfte zu beurteilen. Hierfür wurde eigens ein elektronisches Tool mit dem Arbeitstitel Elektronische Systemanalyse im Herzstückbereich (ESAH) entwickelt (Abb. 4).
Fazit
Die Arbeiten auf der Versuchsstrecke Haste haben eins klar gezeigt: Eine Weiterentwicklung von Weichen in den Bereichen Konstruktion, Werkstoffe, Schweißtechnik und Instandhaltung ist auch nach fast 190 Jahren Eisenbahn möglich. Innovative Ansätze können nicht nur unnötigen Aufwand in der Instandhaltung sparen, sondern die Fahrwegverfügbarkeit entscheidend erhöhen.
Dr. Andreas Zoll, DB Systemtechnik, Werkstoff- und Fügetechnik: "Die Versuchsstrecke Haste war und ist nur durch ausgeprägte Teamarbeit und engagiertes Mitwirken aller Beteiligten möglich. Vielen Dank dafür."